Filmportrait und Wettbewerbsplakat: Hans-Sachs-Haus, Gelsenkirchen
Die Verwendung der Dokumentationsmaterialien darf nur im Zusammenhang mit der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Westfälischen Preises für Baukultur erfolgen.
Erläuterung des Büros gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner
Nach vier Jahren Bauzeit weihte die Stadt Gelsenkirchen im Jahr 2013 ihr neues Rathaus nach den Plänen der Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp) ein. Die Bauaufgabe für das neue Hans-Sachs-Haus sah vor, das bestehende Rathaus im Zentrum der Stadt abzureißen und unter Beibehaltung der denkmalgeschützten Backsteinfassade aus den 1920er Jahren ein neues Rathaus mit öffentlichem Bürgerforum zu bauen.
Der nun fertiggestellte Umbau des Baudenkmals des Essener Architekten Alfred Fischer ist eine Reverenz an den Geist des gesellschaftlichen Aufbruches in der Weimarer Republik. Der in seiner äußeren Erscheinung erhaltene moderne Backsteinbau steht für eine kulturelle Epoche, die sich in ihren sozialen und demokratischen Visionen künstlerisch auch in der Architektur offenbarte. Die ursprüngliche Idee des öffentlichen Bürgerhauses mit dem zentralen Veranstaltungssaal als Bürgerforum wurde mit Respekt vor der Vergangenheit im Innern neu interpretiert. Durch den Abriss des in den 1950er Jahren errichteten Ergänzungsbaus und dessen Rückbau an der Dreikronenstraße entstand ein dem Hans-Sachs-Haus als Rathaus zugeordneter „Bürgerplatz“, der Alfred-Fischer-Platz. Der Hotelturm wurde wieder freigestellt und so zum städtebaulichen Zeichen.
Der Alfred-Fischer-Platz wird nun im Erdgeschoss des neuen Hans-Sachs-Hauses als Bürgerforum fortgesetzt. Dort empfängt den Besucher das lichtdurchflutete und in alle Richtungen transparente Atrium. Das multifunktionale Bürgerforum wendet sich großzügig dem besonnten Platz zu, sodass bei Festveranstaltungen bei gutem Wetter die Türen der Westfassade geöffnet werden können. Veranstaltungen und Konzerte können innen wie außen stattfinden. Durch den fließenden Übergang zwischen Innen- und Außenbereich wird besonders der Eindruck eines „offenen Hauses“ für den Bürger gestärkt.
Das Bürgerforum und der Ratssaal, die Sitzungssäle und die Räumlichkeiten des Oberbürgermeisters werden durch die beibehaltene historische Fassade mit einer zweibündigen Raumschicht aus Büros und dienenden Funktionen gefasst. Der Bereich des Bürgerforums, der durch den Ratssaal überdeckt wird, kann durch mobile Trennwände zu einem abgeschlossenen Veranstaltungsbereich abgeteilt werden. Alle Bereiche mit großem Publikumsverkehr liegen im Erdgeschoss am Bürgerforum. Beratungsbereiche und ein Café liegen einladend an der großzügigen, historischen „Schaufensterfassade“, die in ihrer ursprünglichen Gestaltung wiederhergestellt wurde.
Die innere Atmosphäre wird hauptsächlich durch das Zusammenspiel der Räume mit der eingesetzten Farbe, Struktur und Haptik der verwendeten Materialien bestimmt. Konstruktive Elemente wie Stützen und Geschossdecken sind aus hell-weißem Putz. Die Saalkörper und der Bereich des Oberbürgermeisters haben eine Holzverkleidung. Der Fußboden im Bürgerforum ist mit dunklem Stein belegt, der sich draußen auf dem Alfred-Fischer-Platz fortsetzt. Die inneren Bürofassaden zum Atrium sind aus Glas. Die Bürobereiche erwecken so eine offene Atmosphäre. Die gestalterisch hervorgehobenen Geschossdecken des Atriums betonen die Horizontalität und zitieren das Gestaltungsprinzip der historischen Fassade.
Die westliche Gebäudeecke an der Munckelstraße wurde analog zu den Ecken an der Ebertstraße abgerundet. Die horizontalen, akzentuierten Gesimsbänder der historischen Fassade wurden um die Ecke auf der Stirnwand zum Alfred-Fischer-Platz weitergeführt und entwickeln sich im Bereich der Foyers zu schattenspendenden, plastischen Sonnenlamellen. Die südliche Hotelturmfassade wurde rekonstruiert, womit der Turm sein ursprüngliches Erscheinungsbild erhielt.
Begründung der Jury vom 19. Juni 2015
Das 1927 nach einem Wettbewerb durch den Essener Architekten Alfred Fischer in Gelsenkirchen errichtete Hans-Sachs-Haus – einer der herausragenden Bauten des Ruhrgebiets - wurde im Zweiten Weltkrieg durch mehrere Bomben zerstört und in abweichenden Formen – teils reduziert und mit geringerem Materialaufwand - wieder aufgebaut.
In den 1990er Jahren begannen die am Denkmalwert orientierten Erneuerungsarbeiten u.a. durch Abriss der in den 1950er Jahren angefügten Anbauten, durch Restaurierung der Wand- und Deckengestaltungen und durch die Rekonstruktion des Eingangsbereiches. Diese Arbeiten wurden fortgesetzt und das Gebäude nach einem 2008 durchgeführten Wettbewerb im Jahre 2013 als neues Rathaus der Stadt Gelsenkirchen nach Plänen des 1. Preisträgers, des Aachener Büros gmp - von Gerkan, Marg und Partner, in Betrieb genommen.
Das neue Rathaus orientiert sich in zweierlei Hinsicht am historischen Wert. Zum einen wurde der ursprüngliche Nutzungsansatz aus dem Baujahr 1927 eines Bürgerhauses beibehalten, das eine vielgestaltige Nutzung von Büroräumen, Gastronomie, Konzertsaal und Stadtbücherei vorsah. Das jetzt neu gestaltete Bürgerforum im EG, dessen große Glasflächen den Eindruck eines offenen Gebäudes verstärken, wurde zum Alfred-Fischer-Platz hin geöffnet.
Zum weiteren erfolgte eine Orientierung an der Bautypologie und der besonderen Baugeschichte des Gebäudes. Seinerzeit setzte der Eisenbetonrahmenbau und die durch die Lage in der Industrieregion motivierte Verwendung von Klinkern neue Maßstäbe. Trotz der durch die Konstruktion bedingten kubischen Formen entstand eine Gebäudekontur mit einer expressionistischen Gesamtform, die Anleihen an verschiedene seinerzeit aktuelle Stilrichtungen erkennen lässt. Die neuen Rückbauten und Ergänzungen – bspw. an der Munckelstraße – lassen eine sorgfältige Wertschätzung und - wo es erforderlich wurde - eine sensible Neuinterpretation sowie einen qualitätvollen Umgang mit der Bauhistorie erkennen.
Zu würdigen ist das Werk der Architekten, das Engagement der Stadt Gelsenkirchen, insbesonders aber das bürgerschaftliche Engagement, das den bereits 2005 beschlossenen Abriss stoppte und stattdessen an seiner Stelle die Rekonstruktion einer der wenigen expressionistischen Backsteinbauten im Ruhrgebiet wagte. Die Stärken dieser Rekonstruktion liegen im Respekt vor dem historischen Wert und der zeitgemäßen Neufassung für die neu gestellten Ansprüche, weshalb der Jury dieses Projekt eine der beiden Auszeichnungen wert war.